Evangelikale Forschung ‚at its best‘

Evangelikale Forschung ‚at its best‘

2000 Jahre Geschichte auf 880 Seiten darzustellen, wäre für jedes Thema eine Herausforderung. Das gilt erst recht, wenn es um eine Geschichte des Christentums geht, und zwar um die Geschichte der Ausbreitung des Christentums aller Konfessionen, in allen Jahrhunderten, auf allen Kontinenten – einschließlich meist vernachlässigter Bereiche wie die Kirchen außerhalb des Römischen Reiches. Und dann ist da ja noch die Frage, ob man angesichts der Materialfülle trocken historische Fakten aneinanderreiht oder sich traut, missiologische Einordnungen und Wertungen einfließen zu lassen, das aber bei deutlicher Trennung von Bericht und Meinung, sodass der Leser dazu inspiriert wird, selber weiterzudenken. Da war ich doch sehr skeptisch!

880 Seiten und viele Stunden später bin ich eines Besseren belehrt worden. Ich bin geradezu begeistert! Denn genau dies ist Klaus Wetzel gelungen in dem im Brunnen-Verlag erschienenen Buch Die Geschichte der christlichen Mission: Von der Antike bis zur Gegenwart – ein Kompendium. Sicher werden Rezensionen folgen, die sich ausführlich Kapitel für Kapitel zum Buch äußern werden. Ich möchte diese Neu­erscheinung zum Anlass nehmen, mehr Christen herauszufordern, sich von Klaus Wetzel in (mindestens) zwei Richtungen inspirieren zu lassen:

Zum Einen gelingt es hier ausgezeichnet, einen eigenen evangelischen, ja evan­ge­likalen Standpunkt mit einer breiten ökumenischen Perspektive zu verbinden. Heraus­gekommen ist die vielleicht breiteste ökumenische Missionsgeschichte, in der alle Konfessionen und Kirchen zu ihrem Recht kommen, und zwar schon vor der Reformationszeit und auch außerhalb der westlichen Kirche! Wetzel, der aus einem Lebenswerk, entstanden aus einer langen Vorlesungstätigkeit in Asien und Europa, schöpfen kann, füllt die großen weißen Felder auf unserer ökumenischen Landkarte aus und bemerkt zu Recht: „In der europäischen Kirchengeschichtsschreibung wird bis heute die Geschichte der Kirche außerhalb des Römischen Reiches nicht gebührend berücksichtigt.“ (46).

Zum Anderen kann dieses Kompendium für die Geschichte der weltweiten Gemeinde Jesu Christi begeistern. Wetzel zeigt, wie bereits in den ersten Jahrhunderten des Christentums die Missionsgeschichte die Kirchengeschichte maßgeblich bestimmt hat. Die gegenwärtige Gestalt des Christentums weltweit ist stark von seiner enorm vielfältigen Ausbreitungsgeschichte bestimmt, ja sie ist ohne diese Ausbreitungs­geschichte gar nicht zu verstehen. Wetzel meistert es ausgezeichnet, alle wichtigen Stationen der Kirchengeschichte aus dem Blickwinkel der Mission einzubeziehen, ohne ständig sattsam Bekanntes zu wiederholen. Hier lese man z.B. die kompakte und zugleich differenzierte Darstellung der sogenannten „Sachsenmission“ unter Karl dem Großen, oder des innerkatholischen Ritenstreits oder die Ausführungen dazu, warum sich die russisch-orthodoxe Kirche Byzanz gegenüber als überlegen und Trägerin der Ausbreitung ansah.

Besonders lehrreich und inspirierend finde ich die Darstellung der grundlegenden Ausbreitungsarten des Christentums durch Geschäftsleute, Migration, Eroberung, Bildungsarbeit, Massenmedien, persönliche Beziehungen usw. und das quer durch die Jahrhunderte und Kontinente. So konkret geschah und geschieht „Kirchen­geschichte“, so vielfältig baut Gott seine Gemeinde durch die Jahrhunderte unter den Völkern – bis heute.

Prof. Dr. mult. Thomas Schirrmacher,
Stellvertretender Generalsekretär der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA)

Zuerst erschienen in em 2/2019