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Dem Rad in die Speichen fallen

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Im Gedenken an den 20. Juli 1944

Heute, am 20.7.2025, jährt sich das Stauffenberg-Attentat auf Adolf Hitler und der Umsturzplan „Operation Walküre“. Claus Schenk Graf von Stauffenberg und mit ihm Albrecht Oberst Ritter Mertz von Quirnheim, General Friedrich Olbricht und Leutnant Werner von Haeften wurden noch am Abend auf dem Hof des Bendlerblocks in Berlin ohne ordentliches Gerichtsverfahren standrechtlich erschossen. In den folgenden Wochen wurden mehr als 7.000 Menschen verhaftet und weitere etwa 200 hingerichtet.

Einer der letzten, der für seinen Widerstand gegen das NS-Regime hingerichtet wurde, war Dietrich Bonhoeffer, am 9.April 1945, knapp einen Monat vor Ende des Zweiten Weltkrieges. Ich denke, es ist nicht übertrieben, dass Dietrich Bonhoeffer, auch wenn er an dem Attentat nicht direkt beteiligt war, doch als der zu sehen ist, der die theologische Grundlegung dazu gelegt hat.

Als am 7.4.1933 in Nazi-Deutschland der Arier-Paragraph verabschiedet wurde, der Juden vom Beamtentum ausschloss, entwarf Bonhoeffer als einer der ersten Theologen sofort einen Vortrag zum Thema Die Kirche vor der Judenfrage. Darin äußerte er sich zu der Frage, welchem Gebot die Kirche zu folgen hat. In diesem Vortrag nannte Bonhoeffer drei Möglichkeiten des Verhaltens gegenüber dem Staat in Grenzsituationen:

  1. „Die an den Staat gerichtete Frage nach dem legitim staatlichen Charakter seines Handelns, das heißt, die Verantwortlichmachung des Staates.“
  2. „Der Dienst an den Opfern des Staatshandelns. Die Kirche ist den Opfern jeder Gesellschaftsordnung in unbedingter Weise verpflichtet, auch wenn sie nicht der christlichen Gemeinde zugehören. ‚Tut Gutes an jedermann‚ (Galater 6,10).“
  3. „Nicht nur die Opfer unter dem Rad verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen fallen.“

1933 sah Bonhoeffer noch nicht die Zeit gekommen, entsprechend der dritten Möglichkeit gegenüber dem Staat zu handeln. Zudem war er der Überzeugung. dass nur ein Konzil über die Notwendigkeit eines unmittelbar politischen Handelns der Kirche entscheiden kann, um jede persönliche Willkür auszuschließen. Erst 1939 „wählte er ohne einen solchen Konzilsbeschluss ganz aus eigener Verantwortung den Weg in den direkten politischen Widerstand. Zu diesem Zeitpunkt waren die Organe der Bekennenden Kirche bereits weitgehend zerschlagen, so dass ein Konzil gar nicht mehr stattfinden konnte“ (Zimmerling, Peter: Bonhoeffer als Praktischer Theologe, 2006. S. 46).

Die Frage, der wir uns heute stellen müssen, ist nicht so sehr die, ob Gewaltanwendung ein vertretbares politisches Mittel ist, sondern doch zuerst die, ob uns das Wohl des Volkes so viel Wert ist, dass wir auch das eigene Leben dafür niederlegen würden. Das gebietet der Respekt vor den Menschen, die im Widerstand bereit waren, in den Tod zu gehen. Und am heutigen die Hochachtung vor denen, die wegen des Stauffenberg-Attentats in den Tod gingen.

Wer allerdings zu bequem ist, es auch nur in Erwägung zu ziehen, sich politisch zu informieren, sich zu positionieren und zu engagieren, wer zu feige ist, seine Stimme gegen die Ungerechtigkeit heute zu erheben, nicht am Stammtisch oder Küchentisch, sondern öffentlich, mit Leserbriefen, Petitionen, Gesprächen mit Abgeordneten, wer zu faul ist, die „Opfer unter dem Rad“ zu verbinden, die Alten in der Altersarmut, die Geflüchteten die zu Unrecht abgeschoben werden sollen, die vielen Menschen, die in Angst und Trostlosigkeit versinken, der braucht auch nicht über den letzten Schritt nachdenken. Wer Bequemlichkeit, Feigheit und Faulheit nicht opfern mag, der wird kaum bereit sein, wenn es gilt, das Leben niederzulegen.

Martin Heißwolf